Ein Ochse auf der Kaiser Wilhelm Brücke
Wir erwarteten unser Auslaufen zu den bevorstehenden Herbstmanövern 1903 vor Helgoland mit gemischten Gefühlen. Im Aurüstungshaven herrschte unterdess reges treiben. Ich sollte als junger Unteroffizier zum ersten mal bei einem großen Manöver dabei sein und meine Anspannung darüber war einem nicht entgangen. So drang die von der Mannschafft gefürchtete ungeduldige Stimme des ersten Bootmannes an mein Ohr:
"Wat steihst hier rum un kieks abelsch, mak dat de Watertank dorschölt op!"
Ein rauher Befehlston drang von rechts, Bootsmann Junker war wie immer schlecht gelaunt und wer nicht sofort spurte bekam noch mehr Arbeit.
"To Anwiesen",
ich sah zu das ich schleunigst machte was von mir verlangt wurde und glitt am Schlauch ins innere des Tank. Eine Sekunde raubte mir die heiße, abgestandende Luft die mir entgegenschlug den Atem. Es war ein heißer August Tag im Jahr 1903 und die Eisernen Wände der Kriegsschiffe die im Wilhelmshavener Innenhaven auf Ihr Auslaufen warteten flimmerten vor Hitze. Eine leichte Süd-Süd-West Brise strich durch den Hafen doch Sie erreichte kaum die kleine Luke die hinunter in den Tank führte wo ich emsig mit einem Spülschlauch und Bürste damit beschäftigt war Kalkreste von den Anschlüssen zu entfernen während ich nach Atem rang.
Ich musste an das kühle Bier denken das Sonnabend noch meine Kehle so schön erfrischt hatte. Noch immer ist ganz Wilhelmshaven zu Ehren des Geburtstags Jubiläums des Prinz Heinrich von Preußen, in ein Fahnen Meer getaucht. Die Banner treiben in der Sommerbrise an diesem heißen Spätsommer Abend in Wilhelmshaven. Diesen Abend noch möchte der Prinz beim Konzert des Vaterländischen Frauenvereins teilnehmen das zu seinen Ehren im Stadtpark stattfinden soll. Wir einfachen Matrosen bleiben lieber am Südstrand und genießen die ungezwungene Atmosphäre des Bürger Gartens wo eine Kroatische Kapelle flotte Weisen aufspielen wird. Diese Jungs haben es drauf und wenn man Ihnen genug zu trinken gibt spielen Sie die ganze Nacht.
Ich tanze für mein Leben gerne und wer weiß schon wann Wir das nächste mal Gelegenheit dazu haben sollten.
Die Stadt war noch jung und das bald eröffnende Olympia Werk der AEG und die Kaiserliche Marine lockten tausende von Arbeitskräften an die Marinestadt am Jadebusen.
"Die neue Mignon der Firma AEG revolutioniert die Büroarbeit."
So las ich in der Zeitung und tatsächlich galt die Firma als eine der fortschrittlichsten seiner Zeit in der Schreibmaschinen Produktion.
In meinen Gedanken versunken beim heutigen Tanzabend bemerkte ich wie an Deck ein Tumult aufkam. Ich legte mein Arbeitszeug beiseite um nachzusehen, konnte jedoch nichts erkennen da sich alles an der Reling tummelte und Sie mir den Blick versperrten. Ich drängelte mich durch und sah nun wie einige Ochsen ,die scheinbar durchgegangen waren, orientierungslos auf der Seite des Bontekais vor den Treibern flüchteten. Diese Ihrerseits versuchten die Tiere unter dem grölen und spotten der herbeigeeilten Zuschauern einzufangen und in die Eisenbahnwaggons zu verladen.
Ein Tier schaffte es genau in diesem Moment durchzubrechen und lief den gesamten Bontekai entlang. Etliche Menschen konnten sich nur mit einem beherzten Sprung ins Wasser retten bevor der Ochse am Ende des Kais ankam und Kurs auf die Kaiser Wilhelmbrücke nahm. Auch hier strömten die Menschen, die sich noch gerade köstlich über die Tiere amüsiert hatten, von der Brücke als das Tier in vollem Gallop auf sie zu kam.
Da dem Tier der Weg auf der anderen Brückenseite mit Menschen versperrt schien, machte der aufgeregte Ochse einen Bogen und sprang mit einem gewaltigen Satz über das Geländer der KW-Brücke. Mit einem riesigen Platscher landete das massige Tier im Wasser. Die Fontäne ergoss sich über viele der Schaulustigen die sich am Ufer eingefunden hatten. Einige Sekunden war das Tier untergetaucht bis ein Junge den Kopf des Ochsen unterhalb der Brücke ausmachte. Hier konnte das erschöfte Tier von den herbei geeilten Treibern überwältigt werden. Leider gibt es keine Fotos zu dem Spektakel, das müssen Sie Willi schon so glauben, oder etwa nicht?
Euer Willi
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| Willis Schnack und Seemannsgarn |
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